Fachliche Einordnung des Geschehens im Kapitel 1
Systemisches Versagen: Eine Analyse der Grundprobleme von Strategie, Kulturwandel und Agilität im Kontext des gescheiterten Digitalisierungsprojekts1. Systemischer Blickwinkel: Das große Ganze verstehen
Das Kapitel zeigt deutlich, welche Folgen ein fragmentierter und unkoordinierter Ansatz in der Führung und Projektabwicklung haben kann. Aus systemischer Sicht wirkt das Unternehmen wie eine Ansammlung isolierter Abteilungen, die wenig miteinander interagieren. Diese sogenannten Silos führen zu Missverständnissen und Fehlinformationen, die letztendlich zum Scheitern des Projekts führen. Im systemischen Denken wird ein Unternehmen als vernetztes System betrachtet, bei dem alle Teile miteinander verbunden sind. In diesem Fall fehlt jedoch die nötige Kohärenz zwischen den Abteilungen. Entscheidungen verlaufen linear und top-down, was für ein modernes, komplexes System nicht mehr ausreicht. Studien haben gezeigt, dass Unternehmen, die es versäumen, ihre Strukturen an die wachsende Komplexität anzupassen, ihre Anpassungsfähigkeit verlieren und somit nicht mehr in der Lage sind, flexibel auf interne und externe Herausforderungen zu reagieren. Dies wurde durch Studien wie die von McKinsey & Company über das Versagen von Digitalisierungsprojekten bestätigt .2. Innovations- und Veränderungsmanagement: Modelle und Methoden
Das Kapitel liefert zahlreiche Hinweise auf Defizite im strategischen Veränderungsmanagement. Mehrere Modelle und Methoden helfen dabei, diese Schwächen genauer zu verstehen:- Kotter’s 8 Stufen des Wandels: Ein wesentlicher Punkt, der übersehen wurde, ist die Schaffung eines Dringlichkeitsbewusstseins (Stufe 1). Ohne eine klare Vision (Stufe 3) verliert das Projekt an Struktur und zerfällt in Details. Laut einer Studie des Project Management Institute (PMI) scheitern Projekte häufig, wenn die langfristige Vision unklar ist und die Mitarbeiter nicht hinter der Veränderung stehen .
- Lewin’s Change Management Modell: Es gibt keine Phase des „Unfreeze“, in der alte Gewohnheiten aufgebrochen und Platz für neue Denkweisen geschaffen wird. Die Mitarbeiter haben das „Warum“ der Veränderung nicht verstanden, was auch in anderen Studien zur Implementierung von Wandel als kritischer Fehler bezeichnet wird .
- ADKAR-Modell: Ein zentrales Problem ist das Fehlen von Awareness. Ohne Bewusstsein für die Bedeutung des Projekts bleibt die Veränderung erfolglos. Die ständig wechselnden strategischen Ausrichtungen verhindern zudem, dass die Mitarbeiter die notwendigen Fähigkeiten entwickeln. Eine Untersuchung von Prosci, dem Entwickler des ADKAR-Modells, zeigte, dass 70% der Change-Projekte scheitern, wenn die Bedeutung der Veränderung nicht klar kommuniziert wird .
3. Organisation und Kulturwandel: Ein unflexibles Top-Down-System
Das Kapitel verdeutlicht die negativen Auswirkungen eines starren, hierarchischen Systems auf die Unternehmenskultur. Das Unternehmen ist von einer Top-Down-Logik geprägt, bei der Entscheidungen von oben getroffen werden, ohne die Mitarbeiter in den Prozess einzubinden. Dies führt zu mangelnder Identifikation mit den Zielen des Projekts, wie es in vielen Studien zur Mitarbeiterpartizipation beschrieben wird . Es fehlen Feedback-Schleifen und Transparenz, während die Kommunikation stark hierarchisch verläuft. Laut einer Studie von Deloitte behindern solche strukturellen Defizite in Unternehmen den Wandel und führen zu Resignation und Frustration bei den Mitarbeitern, die sich nicht gehört fühlen . Dies wird im Kapitel durch die Aussagen von Torben Tub deutlich, der betont, dass seine Hinweise von der Führungsebene ignoriert wurden – ein klassisches Beispiel für ein Unternehmen, das Veränderungen blockiert.4. Agilität: Fehlende Anpassungsfähigkeit
Das Kapitel offenbart eine Diskrepanz zwischen der Vision von Agilität und der tatsächlichen Umsetzung im Unternehmen. Agilität erfordert kurze Arbeitszyklen, regelmäßiges Feedback und die Fähigkeit, sich schnell auf neue Gegebenheiten einzustellen. Im Projekt werden diese Prinzipien jedoch nicht angewendet. Laut einer Studie von Forbes über die Einführung agiler Methoden führt die fehlende Eigenverantwortung und das Festhalten an traditionellen Top-Down-Strukturen zu Scheitern in der agilen Transformation .- Mangel an Eigenverantwortung: Statt den Teams Raum für selbstorganisiertes Arbeiten zu geben, bleibt das Unternehmen im klassischen Command-and-Control-Modell gefangen. Dies verhindert eine echte agile Transformation, was durch eine McKinsey-Studie über den Erfolg agiler Teams ebenfalls bestätigt wurde .
- Überlastung durch Multitasking: Die ständigen Änderungen in der Marschroute führen zu Change Fatigue. Untersuchungen zeigen, dass übermäßiges Multitasking und fehlende Priorisierung den Fortschritt behindern und zu Frustration bei den Mitarbeitern führen .
5. Auswirkungen auf die intrinsische Motivation: Frustration und Resignation
Ein weiteres zentrales Thema sind die Auswirkungen des gescheiterten Projekts auf die intrinsische Motivation der Mitarbeiter. Die Beteiligten verlieren ihren inneren Antrieb, da sie das Gefühl haben, dass ihre Arbeit nicht sinnvoll ist und ihre Bemühungen keinen Unterschied machen.- Wiederholtes Scheitern: Studien, darunter der Gallup Engagement Report, zeigen, dass wiederholtes Scheitern zu einem Verlust des Engagements führt. Mitarbeiter sehen keinen Sinn in ihrer Arbeit, wenn sie trotz harter Arbeit keinen Erfolg sehen.
- Mangelnde Wertschätzung: Die Führung ignoriert Feedback und zerstört das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Laut Maslow’s Hierarchie der Bedürfnisse ist Selbstwirksamkeit eine zentrale Komponente für intrinsische Motivation. In diesem Fall fühlen sich die Mitarbeiter entmachtet, was ihre Motivation weiter schwächt.
- Fehlende Sinnhaftigkeit: Ohne eine klare Vision und Sinnhaftigkeit in der Arbeit verlieren intrinsisch motivierte Mitarbeiter den Antrieb. Untersuchungen von Daniel Pink in seinem Buch „Drive: The Surprising Truth About What Motivates Us“ zeigen, dass Sinn und Autonomie entscheidende Faktoren für die Motivation sind .
6. Ökonomische Folgen gescheiterter Projekte
Neben den kulturellen und organisatorischen Auswirkungen hat ein gescheitertes Projekt auch erhebliche ökonomische Konsequenzen. Laut dem Project Management Institute (PMI) werden jährlich etwa 12% der Projektinvestitionen verschwendet, weil Projekte nicht rechtzeitig abgeschlossen werden oder scheitern . Zusätzlich zur direkten Ressourcenverschwendung kommt es oft zu einem Vertrauensverlust bei Stakeholdern und einer Schädigung der Unternehmensreputation. McKinsey & Company verdeutlicht, dass gescheiterte Digitalisierungsprojekte das Vertrauen der Partner und Investoren schwächen können, was zukünftige Investitionen gefährdet. Ein weiterer Faktor sind die Kosten durch Mitarbeiterfluktuation. Laut Gallup betragen die Kosten für den Verlust und die Neubesetzung von Fachkräften bis zu 150% des Jahresgehalts. Gescheiterte Projekte erhöhen das Risiko von Fluktuation und Demotivation, was langfristige wirtschaftliche Schäden verursachen kann .Schlussfolgerung: Ein System in der Sackgasse
Das Kapitel zeigt deutlich, dass das Unternehmen sich in einer strukturellen und kulturellen Sackgasse befindet. Ohne eine umfassende systemische Veränderung – vor allem in Bezug auf Kommunikation, Strategie und Organisationskultur – wird es nicht in der Lage sein, den notwendigen Wandel zu vollziehen. Agilität bleibt ein theoretisches Konzept, das in einem hierarchischen System keinen Platz findet. Um erfolgreich zu transformieren, muss das Unternehmen:- Systemisch denken und Silos abbauen,
- Partizipative Ansätze einführen, die die Mitarbeiter in den Veränderungsprozess einbinden,
- Agilität auf Führungsebene verankern, um echte Flexibilität zu ermöglichen,
- Die intrinsische Motivation der Mitarbeiter durch Sinnhaftigkeit und Selbstwirksamkeit stärken.
Quellen:
- Project Management Institute. (2020). Pulse of the Profession 2020: The High Cost of Low Performance. Link zur Studie.
- McKinsey & Company. (2018). The Key to a Successful Digital Transformation. Link zur Studie.
- Forbes. (2019). Why Agile Transformations Fail. Link zur Studie.
- Daniel Pink. (2009). Drive: The Surprising Truth About What Motivates Us. Riverhead Books.
- Gallup. (2017). State of the American Workplace Report. Link zur Studie.
- Deloitte. (2019). Global Human Capital Trends. Link zur Studie.