Bits im Nachtwind: Wenn über Apps Geheimnisse flüstern
Die Nacht hatte sich wie Tinte über die Stadt ergossen, als die Stewpunks Joshuas Loft verließen. Eine einzelne Straßenkehrmaschine zog ihre monotonen Bahnen durch die verlassenen Gassen, ihr gedämpftes Surren wie das Grundrauschen einer Stadt, die sich zum Schlaf bereit machte. Joshua, der die anderen noch ein Stück begleitete, spürte das vertraute Vibrieren in seiner Tasche – eine neue Nachricht in Ingress. Eine Nachricht aus jener Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und digitaler Dimension verschwammen.
Für die meisten Menschen war die Stadt ein Netz aus Straßen und Gebäuden. Doch für die Eingeweihten von Ingress existierte eine zweite, verborgene Ebene der Realität: Ein Netzwerk aus leuchtenden Portalen, unsichtbar für das bloße Auge, aber machtvoll genug, um das Schicksal der Menschheit zu verändern. Historische Gebäude pulsierten mit mysteriöser Energie, Denkmäler wurden zu Kraftquellen, und selbst unscheinbare Straßenecken bargen möglicherweise uralte Geheimnisse. In dieser Schattenwelt kämpften zwei Fraktionen um die Kontrolle dieser verborgenen Macht: Die “Erleuchteten”, die glaubten, dass diese Energie der nächste Schritt in der menschlichen Evolution sei, und der “Widerstand”, der die Menschheit vor dieser unbekannten Kraft beschützen wollte.
Was als Spiel begann, wurde für viele zu einer zweiten Realität. Die App war nur das Fenster in diese andere Dimension – ein digitales Werkzeug, um Dinge zu sehen, die sich dem normalen Blick entzogen. Manchmal, in den frühen Morgenstunden oder späten Nächten, wenn die Grenzen zwischen den Welten besonders dünn waren, fragten sich die Spieler, ob sie wirklich nur ein Spiel spielten – oder ob das Spiel sie spielte. Ob die leuchtenden Punkte auf ihren Bildschirmen vielleicht doch mehr waren als nur Pixel und Code.
Joshua hatte sich den Erleuchteten angeschlossen, angezogen von der Vision einer transformierten Welt. Der Hacker dagegen, den er über unzählige nächtliche Kämpfe um diese mysteriösen Portale kennengelernt hatte, gehörte zum Widerstand. Sie waren Gegner in dieser Schattenwelt, aber ihre Verbindung ging tiefer als das digitale Spiel. Bei verschiedenen Events, wenn die virtuelle Welt für kurze Momente in die reale durchbrach, hatten sie sich getroffen – zwei Wanderer zwischen den Welten, die verstanden, dass die Grenzen zwischen Realität und Digital längst nicht mehr so klar waren, wie die meisten Menschen glaubten.
Das Smartphone in Joshuas Tasche vibrierte erneut, dringlicher diesmal. Im schwachen Schein des Displays erschien die Mitteilung des Hackers, kurz und kryptisch:
“Ich habe von Eurem gescheiterten Projekt gehört. Interessant, dass ausgerechnet Du in diese Sache verwickelt bist.”
Joshua blieb abrupt stehen, seine Finger schwebten über dem Display. Die anderen Stewpunks, die bereits ein paar Schritte weitergegangen waren, drehten sich um. Im flackernden Licht der Straßenlaternen warfen ihre Gestalten lange Schatten auf das feuchte Pflaster.
“Was ist los?” Pia trat näher, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern in der nächtlichen Stille.
“Der Hacker…” Joshua zeigte ihr das Display. “Er wusste bereits von unserem gescheiterten Projekt. Bevor ich es ihm erzählt habe.”
“Was? Woher?” Luc, der auch rübergekommen war, beugte sich vor, seine Augen verengten sich beim Anblick der Nachricht. Die leuchtenden Pixel des Displays spiegelten sich in seinen Brillengläsern.
Joshuas Finger bewegten sich über die Tastatur: “Woher weißt du davon?”
Die Antwort kam schnell, als hätte der Hacker auf der anderen Seite des digitalen Abgrunds nur darauf gewartet: “Manche Nachrichten reisen auf Wegen, die nicht auf normalen Karten verzeichnet sind. Die Grenzen zwischen eurer Welt und unserer sind durchlässiger, als ihr denkt.”
Barbara verschränkte die Arme vor der Brust, ihr Gesicht im Halbschatten eine Maske der Konzentration. “Wenn er das wusste, bevor du es ihm erzählt hast, dann…”
“…dann sind wir möglicherweise Teil eines viel größeren Spiels,” beendete Dimitri ihren Satz, seine Stimme eine Mischung aus Faszination und Besorgnis. Er sah Barbara an und erkannte in ihren Augen eine Mischung aus Skepsis und Wachsamkeit.
Ein kühler Windhauch fegte durch die Straße, ließ die Blätter in den Rinnen tanzen. Die sieben Berater standen nun zusammen um Joshuas Handy. Die Straßenlaternen flackerten kurz, als würde die elektrische Spannung auf die wachsende Unruhe in der Gruppe reagieren. Das monotone Summen der Straßenkehrmaschine in der Ferne klang nun wie das gedämpfte Atmen einer schlafenden Stadt, die ihre eigenen Geheimnisse hütete.
Joshuas Smartphone vibrierte erneut. Diesmal war die Nachricht anders – keine Worte, nur eine Reihe von Koordinaten. Sie markierten ein verlassenes Gebäude am Stadtrand, ein Portal, das der Hacker kontrollierte.
“Er will, dass wir dorthin kommen,” sagte Joshua langsam, während die anderen sich um sein leuchtendes Display drängten. “Morgen Nacht.”
“Ein verlassenes Gebäude?” Torben zog skeptisch eine Augenbraue hoch. “Klingt nach der perfekten Location für einen schlechten Thriller.” Seine Worte klangen scherzhaft, aber ein Hauch von Anspannung war nicht zu überhören.
“Oder wie der perfekte Ort, um Welten zu verbinden,” murmelte Antonia, ihre Augen waren auf die pulsierenden Koordinaten geheftet. “In der Spielewelt sind solche Orte oft Knotenpunkte der Macht – Stellen, an denen die Realität dünn wird.”
Barbara schnaubte leise. “Spielewelt hin oder her – wir sollten vorsichtig sein. Wer weiß, ob dieser Hacker wirklich auf unserer Seite steht.”
Luc, der bisher schweigend die Diskussion verfolgt hatte, trat einen Schritt vor. Das Licht der Straßenlaterne ließ seine Gesichtszüge schärfer erscheinen. “Wir haben keine Wahl. Der USB-Stick, das gescheiterte Projekt, diese mysteriösen Nachrichten – alles deutet darauf hin, dass wir bereits Teil einer größeren Sache sind. Die Frage ist nur, ob wir die Regeln dahinter erkennen bevor die Regeln uns brechen.”
“Regeln brechen ist ja eigentlich unsere Spezialität,” warf Pia ein, ein schmales Lächeln umspielte ihre Lippen. “Aber dieses Mal…” Sie ließ den Satz unvollendet in der Nachtluft hängen.
Joshua wollte gerade antworten, als sein Display erneut aufleuchtete. Die neue Nachricht des Hackers erschien wie ein digitales Glühwürmchen in der Dunkelheit: “Die Wahrheit hat viele Ebenen. Manchmal muss man durch die virtuelle Welt gehen, um die reale zu verstehen. Seid vorsichtig – ihr seid nicht die Einzigen, die nach Antworten suchen.”
Die Worte schienen in der kühlen Nachtluft zu vibrieren. Fast gleichzeitig erlosch eine der Straßenlaternen über ihnen mit einem leisen Knistern, als hätte die Warnung selbst einen Kurzschluss verursacht. Die Schatten der Gruppe wurden länger, verschmolzen mit der Dunkelheit der Gassen.
“Nicht die Einzigen?” Dimitris Stimme hatte einen scharfen Unterton. “Wer sonst-” Er unterbrach sich selbst, als am Ende der Straße ein gedämpftes Geräusch erklang. Eine Autotür, die zu leise geschlossen wurde. Schritte, die zu schnell verstummten.
Die Gruppe gefror für einen Moment zu einer tableau-artigen Szene: Joshua, das leuchtende Smartphone wie ein digitaler Kompass in der Hand; Pia und Dimitri, instinktiv näher zusammengerückt; Barbara, deren Jahre der Werkstatterfahrung sie gelehrt hatten, auf ihr Bauchgefühl zu hören; Torben, dessen Hacker-Instinkte Alarm schlugen; Luc, der die Situation mit analytischer Schärfe erfasste; und Antonia, deren psychologisches Training ihr sagte, dass ihre kollektive Paranoia vielleicht gar nicht so unbegründet war.
“Wir sollten uns aufteilen,” sagte Barbara schließlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. “Meine Werkstatt. Morgen Abend. Dort können wir…” Sie deutete vage in Richtung der Koordinaten auf Joshuas Display.
“Einen Plan schmieden?” Torben grinste schwach. “Oder besser: kochen?”
“Beides,” nickte Barbara. “In meiner Werkstatt haben wir alles, was wir brauchen. Werkzeuge, Technik, und einen verdammt guten Herd.”
Die Gruppe begann sich aufzulösen, jeder nahm einen anderen Weg in die Nacht. Nur Joshua blieb noch einen Moment stehen, das Smartphone in seiner Hand wie ein schwach leuchtender Talisman. Er spürte ein weiteres Vibrieren, aber diesmal öffnete er die Nachricht nicht sofort. Stattdessen ließ er seinen Blick über die nächtliche Straße schweifen, wo die Schatten zwischen den Laternen zu tanzen schienen.
Als er schließlich doch auf sein Display sah, war die neue Nachricht noch kryptischer als die vorherigen: “Das Portal ist nur der Anfang des Weges. Eure Geschichte wartet.” Die Worte hallten in seinem Kopf nach, während er sich langsam in Bewegung setzte. Er hatte keine Ahnung, wo sie das alles hinführen würde, aber er spürte die unausweichliche Gewissheit, dass sie es bald erfahren würden. Und sich dann alles fügen würde – oder alles zerbrechen könnte.
Werkstattrezepte: Wo Schraubenschlüssel Gewürze treffen
Die Werkstatt empfing sie am Abend darauf mit einer vertrauten Mischung aus Neonlicht und Motorengeruch. Barbara hatte den großen Gusseisentopf bereits auf den Herd gestellt – eine Art kulinarische Parallelaktion zu ihrer Mission. “Während der Stew köchelt, können wir planen”, sagte sie und drehte die Flamme kleiner. Der würzige Duft ihres Bountiful Fiesta Stews verbreitete sich im Raum, ein seltsamer Kontrast zu den aufgeklappten Laptops und technischen Geräten, die den Werkstatttisch bedeckten. Es war wie eine unsichtbare Brücke zwischen der mechanischen Kälte der Realität und der nahenden Unwirklichkeit der nächsten Nacht.
“Also”, begann Luc, während er seinen Computer hochfuhr, “fassen wir zusammen: Ein Hacker, der mehr weiß als er sollte – zumindest aus unserer Sicht -, ein mysteriöses Portal, und das Gefühl, beobachtet zu werden. Klingt nach einem netten Ausflug.”
Die Gruppe versammelte sich um den Tisch, während Barbara routiniert im Topf rührte, ohne den Blick von den Bildschirmen zu wenden. Die Spannung der nächtlichen Begegnung hing noch immer in der Luft, vermischte sich mit dem Dampf des Stews zu einer fast greifbaren Atmosphäre der Erwartung.
“Was genau hat der Hacker geschrieben?” Antonia lehnte sich über Joshuas Schulter, während dieser seinen Laptop ebenfalls startete und die Ingress-App öffnete. Der Dampf aus Barbaras Topf beschlug leicht seinen Bildschirm, als würde selbst die digitale Welt von den würzigen Aromen eingehüllt.
“‘Das Portal ist nur der Anfang. Unsere Geschichte wartet.'” Joshua scrollte durch die Nachrichten. “Und diese Koordinaten…” Er projizierte den Standort an die Werkstattwand, wo sich die blauen Linien der Karte zwischen Ölflecken und aufgehängtem Werkzeug materialisieren.
“Moment mal…” Torben hatte seinen Laptop auch schon vor sich stehen. Seine Augen huschten zwischen den Koordinaten und seinem Bildschirm hin und her, während seine geübten Finger eifrig, aber kontrolliert über die Tastatur glitten. “Das ist eine alte Psychiatrie.” Eine der ersten Kliniken des Konzerns, stillgelegt vor etwa zehn Jahren.” Auf seinem Bildschirm waren bereits mehrere Fenster geöffnet. “Die offizielle Begründung war Modernisierung – alle Patienten wurden in einen neuen Klinikkomplex verlegt.”
“Aber?” fragte Pia, die den skeptischen Unterton in Torbens Stimme bemerkt hatte.
“Aber die Stromverbrauchsdaten sind seltsam. Für ein verlassenes Gebäude ist da erstaunlich viel … Leben.” Er drehte seinen Laptop, zeigte Grafiken mit unerklärlichen Ausschlägen. “Besonders im Kellertrakt.”
“Hast du dich gerade in irgendeine Datenbank der Stadtwerke gehackt?” fragte Barbara fassungslos und vergaß komplett, den Stew weiter zu rühren. Torben grinste verlegen. “Naja, ich hab da ein bisschen Übung drin.” Barbara schüttelte den Kopf, halb fasziniert, halb besorgt und wandte sich wieder dem Stew zu, der völlig unberührt von all dem in seinem Topf vor sich hin blubberte.
“Ich hab noch Zugang zum Konzernsystem.” auch Luc tippte jetzt konzentriert auf seiner Tastatur. “Wenn das ein Gebäude der Klinik war, dann könnte es doch irgendwo alte Baupläne geben.” Torben beugte sich zu ihm rüber und die beiden versanken in ein Fachgespräch über Daten, Ordernstrukturen und Suchfunktionen. In der Zwischenzeit breitete sich der beruhigend aromatische Duft des Stews dicht und einladend zwischen ihnen aus und brachten Dimitris Magen zum Knurren. Pia grinste und begann, Geschirr und Besteck zusammen zu suchen.
“Hier … der Keller… siehst du das?” erscholl es plötzlich von Torben. Luc nickte und öffnete mehrere Dateien. “Das sind die alten Baupläne …”, murmelte er, den Blick konzentriert auf den Bildschirm gerichtet. “Und das sind die neuen. Die, die für die Modernisierung gedacht waren.” Er zeigt mit dem Finger auf ein Wirrwarr an Linien und Maßeinheiten. “Sieh dir das an.” Torbens Stimme war fast heiser vor Aufregung. Er deutete nun seinerseits auf etwas.. “Ein ganzer Trakt, der in den neueren Plänen fehlt. Ursprünglich als ‘Spezialarchiv’ gekennzeichnet.”
“Das Portal,” schaltete sich Joshua ein, der den beiden die ganze Zeit über die Schulter geschaut hatte. “In Ingress ist es genau dort markiert. Im verschwundenen Archiv einer aufgegebenen Psychiatrie.”
Barbara rührte nachdenklich in ihrem Stew. “Ein geheimer Archivraum in einer Klinik des Konzerns … direkt nachdem wir einen verschlüsselten USB-Stick mit dem Namen ‘Orpheus’ erhalten haben?”
“Und seltsame Stromspitzen im Keller,” ergänzte Torben. “Als würde dort unten jemand … oder etwas … sehr viel Rechenleistung benötigen.”
“Eine Psychiatrie …” Antonia sprach langsam, ihre psychologische Expertise schwang in jedem Wort mit. “Diese alten Kliniken waren wie Labyrinthe. Mehrere Sicherheitszonen, verschachtelte Gänge, Isolationstrakte. Und die Archive…” Sie stockte. “In den Archiven lagerten nicht nur Patientenakten.”
“Sondern?” fragte Pia, obwohl ihr Gesicht verriet, dass sie die Antwort ahnte.
“Forschungsdaten. Projektergebnisse. Alles, was man…” Antonia suchte nach dem richtigen Wort, “…lieber nicht in der Hauptverwaltung aufbewahren wollte.”
Ein plötzliches Knistern aus Barbaras Topf unterbrach die wachsende Spannung. Der würzige Duft ihres Stews hatte sich mit etwas Metallischem vermischt – als würde selbst die Luft die Verschmelzung von Küche und Tech-Mission spüren.
Luc vertiefte sich weiter in die Baupläne. “Der Kellertrakt hat ein eigenes Stromnetz. Und seht mal hier…” Er zoomte in eine Ecke des Plans. “Ein separater Serverraum, direkt neben dem Archiv. In einer Psychiatrie aus den 90ern?”
“Vielleicht war es nie wirklich nur eine Psychiatrie,” murmelte Joshua, während er seine Augen zwischen Lucs Bildschirm und der Ingress-App hin und her wanderten. Das Portal pulsierte auf seinem Bildschirm wie ein digitaler Herzschlag.
Torben lehnte sich zurück, seine Finger trommelten einen nervösen Rhythmus auf die Tischplatte. “Die Frage ist: Wer nutzt diese Infrastruktur jetzt? Der Hacker? Der Konzern? Oder …” Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen.
“Also gut,” Barbara wandte sich vom Herd ab, das flackernde Neonlicht der Werkstatt ließ die Ölflecken auf ihrer Schürze wie dunkle Schatten tanzen. “Ghost führt uns zu einem Portal in dieser Klinik.” Sie wischte sich die Hände an einem Lappen ab, die Bewegung so mechanisch wie das Surren der alten Neonröhren über ihnen. “Die Frage ist: Warum ausgerechnet dort?”
Der würzige Dampf ihres Stews vermischte sich weiter mit dem allgegenwärtigen Geruch von Maschinenöl und warmem Metall. Durch die beschlagenen Fenster der Werkstatt drang gedämpft das orangene Licht der Straßenlaternen, warf verzerrte Muster auf die Bildschirme ihrer Laptops.
“Und warum jetzt?” Pia lehnte sich vor, ihr Gesicht im bläulichen Schein des Displays wie eine digitale Maske. “Der Zeitpunkt kann kein Zufall sein – erst der USB-Stick mit ‘Orpheus’, dann diese Nachrichten…” Sie stockte, als draußen eine Straßenkehrmaschine vorbeifuhr, ihr monotones Summen wie ein elektronisches Mantra in der Nacht.
“Das Portal muss etwas Besonderes sein,” murmelte Joshua. Seine Finger glitten über den Bildschirm der Ingress-App, das pulsierende Licht des virtuellen Portals spiegelte sich in seinen Augen. “Oder am Portal muss etwas Besonderes sein. In all den Jahren habe ich Ghost nie so… kryptisch erlebt.” Ein Tropfen Kondenswasser löste sich von der Decke, landete mit einem leisen ‘Ping’ auf seinem Display.
Torben saß inzwischen vor Lucs Laptop und hatte mehrere Fenster mit Grundrissen geöffnet, das Klicken seiner Tastatur vermischte sich mit dem rhythmischen Blubbern aus Barbaras Topf. “Die Position ist interessant,” seine Stimme klang gedämpft, als würde sie aus einem tiefen digitalen Tunnel kommen. “Genau im Bereich des alten Archivs. Ein Bereich, der in den offiziellen Plänen nicht mehr existiert.”
“Die Frage ist,” Luc richtete sich auf, während eine verirrte Motte um die Neonröhre über ihnen tanzte, “wie kommen wir da rein?” Seine Hand fuhr über den ausgedruckten Plan, folgte den Linien. “Ein Portal in einem Spiel ist eine Sache, aber ein verlassenes Krankenhaus …”
“Wir teilen uns auf,” sagte Antonia. “Hast du hier einen Drucker, Barbara?”. Kurze Zeit später breitete sie einen Lageplan auf einem der öligen Werkstatttische aus. Das Papier saugte an den Rändern die feinen Ölspuren auf, ließ die Linien des Krankenhauses wie dunkle Adern erscheinen. Die anderen stellten sich zu ihr. “Luc und Torben, ihr geht rein. Ihr habt die meiste Erfahrung mit … unkonventionellen Zugängen.”
Luc nickte knapp, sein Gesicht im Zwielicht zwischen Neonröhre und Laptopschein wie eine ernste Maske. “Der Kellereingang auf der Ostseite. Die alten Versorgungstunnel. Weniger exponiert als der Haupteingang. Und wir nehmen den USB-Stick mit. Vielleicht treffen wir Ghost und er kann ihn gleich entschlüsseln.” Torben nickte ihm zu. “Gebt mir mal Eure Handys.” Er wandte sich wieder den anderen zu. Ich richte uns allen mal was ein.” Die stewpunks zögerten nicht und legten ihre entsperrten Telefone vor ihm auf den Tisch.
“Ich koordiniere von hier,” Joshua öffnete die Ingress-App. “Über das Spiel kann ich die Bewegungen in der Umgebung tracken. Wenn sich dort jemand aufhält …” Er ließ den Satz bedeutungsvoll in der Luft hängen.
Barbara trat vom Herd weg, der würzige Dampf ihres Stews folgte ihr wie ein kulinarischer Schatten. “Dimitri und ich bilden die zweite Linie. Wir parken den Wagen außer Sicht, aber in Reichweite. Falls etwas schief geht…” Dimitri hob bestätigend den Daumen.
“Und ich?” Pia’s Stimme schnitt durch die gespannte Atmosphäre.
“Du bleibst mit Antonia hier,” sagte Luc. “Ihr haltet die Basis und…” Er warf einen Blick auf die technische Ausrüstung, die sie vorbereitet hatten. “Ihr seid unser Backup, falls die Kommunikation zusammenbricht.”
Ein erneutes Knistern aus dem Topf ließ nochmals alle zusammenzucken. Der Stew schien sie daran erinnern zu wollen, dass es neben einer Welt digitaler Geheimbotschaften auch noch etwas handfestes, bodenständiges in ihrem Leben gab. Barbara drehte die Flamme kleiner, das blaue Gas-Flackern warf unruhige Schatten an die Wand. “Wann?”
“Heute Nacht,” sagte Joshua, seine Augen auf die letzten Nachrichten von Ghost fixiert. “Das Portal ist am aktivsten zwischen zwei und drei Uhr morgens. Was auch immer wir dort finden sollen… dann ist unsere beste Chance.”
“Zwei Stunden,” murmelte Torben, während er die Zello-App auf ihren Smartphones konfigurierte. Seine Finger bewegten sich präzise über die Displays. “Ich habe überall Zello installiert und einen privaten Channel eingerichtet. ‘Orpheus_Channel’ – passt irgendwie.” Er grinste schwach. “Komplett verschlüsselt und durch mehrere VPNs geleitet.” Er gab den anderen ihre Handys zurück.
“Zello ist perfekt dafür,” nickte Joshua und öffnete die App. “Funktioniert wie ein Walkie-Talkie, aber mit der Reichweite des Internets. Und die Push-to-Talk Funktion…” Er drückte einen Button und ein leises Klicken erfüllte die Werkstatt. “…bedeutet, dass wir nur dann verbunden sind, wenn wir es wollen.”
“So,” Barbara Stimme hatte den Ton einer kommandogewöhnten Werkstattleiterin angenommen. “Jetzt essen wir erstmal. Kein Abenteuer auf leerem Magen, meine Lieben.” Resolut setzte sie den Topf mit dem Stew auf den Tisch, den Pia zusammen mit Dimitri in der Zwischenzeit gedeckt hatte. Die sieben Freunde setzten sich und Antonia verteilte das Essen in die Teller. Torben seufzte. “Du hast Recht. Wir dürfen bei aller Anspannung und Aufgeregtheit das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren. Und das sind wir. Es geht um uns. Darum, dass es uns allen gut geht.” Joshua nickte ihm zu. “Jupp, Demut und Dankbarkeit …” Er nahm noch einen Löffel Eintopf, bevor er weiter sprach. “… können Hand in Hand gehen mit Entschlossenheit und Tatkraft. Ersteres vergessen wir nur leider zu oft.”
Die stewpunks stimmten ihm nickend und schlürfend zu. Als alle fertig waren, entstand ein geschäftiges Treiben. Dimitri und Antonia wuschen ab, während Barbara und Pia den Werkstattraum aufräumten und als Einsatzzentrale vorbereiteten. Joshua warf nochmal einen Blick in den Topf. “Das reicht noch für einen Nachschlag, wenn wir alles hinter uns haben.” murmelte er zufrieden, packte den Topf und stellte ihn zurück auf den Herd.
Luc und Torben hatten sich in der Zwischenzeit in schwarze, funktionale Kleidung gewandet. Ihre Smartphones mit der Zello-App steckten in wasserdichten Hüllen, ebenso der USB-Stick in Lucs Hosentasche – alte Krankenhäuser waren für feuchte Überraschungen bekannt.
“Channel-Test,” kam Dimitris lachende Stimme klar und deutlich durch die App. “Jeder erhält einen Codename. Ich bin ‘Cryptkeeper’.”
“‘Shadow_1’, check,” grinste Luc.
“‘Ghost_Hunter’, check,” antwortete Torben mit einem schiefen Lächeln über die Ironie seines Namens.
“‘Base_1’ steht,” bestätigte Pia von ihrer Position am Laptop.
“Denkt dran,” Antonia reichte ihnen zusätzliche Powerbanks, “‘Zello frisst Akku. Und in solchen alten Kliniken ist das Signal oft unberechenbar.”
Barbara schnappte sich ihren Autoschlüssel von einer Werkbank. “‘Mechanic_1’ steht bereit,” ihre Stimme knisterte durch Zello. “Dimitri und ich parken den Wagen in der Lindenstraße. Genug Abstand zum Gebäude, aber nah genug für eine schnelle Extraction, falls…” Sie ließ den Satz unvollendet.
“‘Control’ ist online,” meldete sich Joshua, der die Ingress-App neben Zello geöffnet hatte. Das Portal pulsierte stärker jetzt, fast hypnotisch. “Von hier kann ich die gesamte digitale Aktivität im Umkreis überwachen.”
Ein plötzlicher Windstoß ließ die Neonröhren flackern. Das Licht tanzte über die ausgebreiteten Pläne, die Laptops, die dampfende Küche – diese seltsame Mischung aus High-Tech-Mission und heimeliger Werkstatt.
“Zeit,” sagte Luc leise und zog seine Jacke enger. “Ghost erwartet uns um zwei Uhr am Portal. Zello-Check alle fünf Minuten. Wenn jemand länger als zwei Intervalle still ist…”
“… dann holen wir euch da raus,” beendete Barbara den Satz. Ihre Hand ballte sich um den Schlüssel ihres Wagens wie um eine Waffe.
Torben überprüfte ein letztes Mal sein Equipment: Smartphone mit Zello, Powerbank, LED-Taschenlampe mit Rotfilter, ein Set Werkzeuge von Barbara, die verdächtig nach Lock-Picks aussahen. “Bereit.”
“Denkt dran,” Joshuas Stimme hatte einen ernsten Unterton, “was auch immer Ghost uns dort finden lassen will – es muss wichtig sein. Wichtig genug für diese ganze Inszenierung.”
“Oder gefährlich genug,” murmelte Pia, während sie die Kommunikationsverbindungen überwachte.
Die Gruppe teilte sich auf. Luc und Torben verschwanden in die Nacht, ihre dunklen Gestalten verschmolzen schnell mit den Schatten. Barbara und Dimitri folgten kurz darauf in ihrem Wagen. Zurück blieben Joshua, Antonia und Pia in der Werkstatt, umgeben von surrenden Laptops und dem würzigen Duft des Stews.
Das letzte, was sie über Zello hörten, war Lucs ruhige Stimme: “Shadow_1 an Control. Wir sind unterwegs. Möge die digitale Macht mit uns sein.”