Die verlassene Psychiatrie ragte vor ihnen auf, ihre dunklen Fenster wie blinde Augen in der Nacht. Der Nieselregen hatte den verwitterten Beton dunkel gefärbt, während sie sich vorsichtig dem Kellereingang näherten.
“Ich sehe keine Bewegung,” meldete sich Joshua voll in seiner Rolle über Zello aus der Werkstatt. Das schwache Leuchten des Ingress-Portals auf seinem Bildschirm pulsierte im Rhythmus eines fernen Herzschlags.
Luc und Torben hatten das Gebäude betreten und durchkämmten das Erdgeschoss. Ihre Schritte hallten durch die verlassenen Korridore, während der Strahl ihrer Taschenlampe über abgeblätterte Wände glitt. Ein großer Konferenzraum öffnete sich zu ihrer Rechten, die Glastür halb aus den Angeln.
“Moment,” flüsterte Luc ins Zello, während er den Raum mit der Taschenlampe absuchte. “Ein klassischer Konferenzraum. Mit Flipchart und allem.” Er leuchtete die vergilbte oberste Seite an. “Neuausrichtung Digitale Transformation” stand in der typischen Workshop-Markerschrift darüber. Darunter eine lieblos gekritzelte Prozesslandschaft, die aussah wie ein verirrtes U-Bahn-System.
“Shadow_1, Ghost_Hunter,” Barbaras Stimme kam sachlich durch die App. “Status-Update?”
“Erdgeschoss gesichert,” antwortete Torben, der Berater für Organisationsentwicklung ganz in seiner neuen Rolle als militärischer Scout.. “Suchen den Zugang zum Keller.”
Sie fanden die Treppe zum Keller hinter einer schweren Brandschutztür. Mit jedem Schritt nach unten wurde die Luft kälter, feuchter. Der modrige Geruch von jahrelangem Verfall mischte sich mit etwas Metallischem, Technischem.
“Control an Shadow_1,” Joshuas Stimme knisterte durch Zello. “Die App zeigt an, dass das Portal stärker wird. Ihr müsst nah dran sein.”
“Verstanden,” flüsterte Luc zurück. Er hielt inne, als ihr Taschenlampenlicht über ein verrostetes Schild an der Wand glitt: ‘Archiv – Zutritt nur für autorisiertes Personal’.
Torben prüfte die massive Stahltür darunter. “Verschlossen. Aber…” Er leuchtete auf das elektronische Schloss. “Sieh dir das an. Das ist kein altes System. Das wurde nachgerüstet.”
Ein leises Summen drang durch die Kellerwände, kaum wahrnehmbar, aber stetig. Wie das gedämpfte Arbeiten ferner Server.
“Base_1 an Shadow_1,” Pias Stimme kam durch Zello. “Die Stromwerte, die wir gefunden haben … sie steigen. Irgendetwas da unten verbraucht gerade mehr Energie.”
Torben kniete sich vor das Schloss, während Luc die Umgebung absicherte. Das elektronische Display blinkte in einem kranken Grün, als hätte es eine Form von technischer Arthritis entwickelt.
“Ghost_Hunter an Control. Das Schloss ist ein Prototyp aus unserem Digitalisierungsprojekt.” Er schnaubte leise. “Ausgerechnet. Wahrscheinlich ein ‘Quick Win’ aus Phase 1.”
“Vorsicht,” kam Antonias Stimme über Zello. “In einem der Berichte stand, dass in der Psychiatrie früher biometrische Zugangssysteme getestet wurden. Teil eines ‘Innovation Hubs’ – natürlich nie richtig ausgerollt.”
Das Summen wurde stärker. Irgendwo in den Tiefen des Kellers erwachten alte Systeme zum Leben, wie digitale Untote, die ein Eindringen in ihr Reich bemerkten.
“Moment mal,” Luc leuchtete auf einen verstaubten Aushang neben der Tür. “‘Ihr Partner für die digitale Transformation'” las er vor. “Datum … zwei Jahre vor dem Scheitern unseres Projekts. Unterzeichnet von …” Er stockte.
“Von wem?” fragte Joshua über Zello.
“Von Sandoval und Dupont.”
Das elektronische Schloss gab plötzlich einen Ton von sich, als hätten die Namen es aktiviert. Das Display flackerte, zeigte für einen Moment ein seltsames Symbol – war das ein Totenkopf? – bevor es in einem kraftlosen Surren seinen Geist aufgab.
Die Tür schwang auf, enthüllte einen schwarzen Korridor. Kalte, feuchte Luft schlug ihnen entgegen, vermischt mit dem Geruch von heißer Elektrik und geschmolzenen Träumen der digitalen Zukunft.
“Control an alle,” Joshuas Stimme durchbrach die Stille. “Lasst uns kurz die Fakten zusammenfassen, bevor ihr da runter geht.” Das Zello-Signal knisterte wie statische Energie.
“Also,” fuhr er fort. “Vor drei Tagen scheitert unser Digitalisierungsprojekt im Klinikkonzern. Am selben Abend taucht ein mysteriöser USB-Stick mit dem Ordner ‘Orpheus’ auf. Sandoval und Dupont, die das Projekt torpediert haben, scheinen tief in der Sache zu stecken.”
“Und jetzt,” ergänzte Pia über Zello, “führt uns ein Hacker namens Ghost über ein Augmented Reality-Spiel zu einer verlassenen Psychiatrie des gleichen Konzerns. Ausgerechnet zu einem Archiv, das offiziell gar nicht existiert.”
“Mit erstaunlich hohem Stromverbrauch,” warf Dimitri ein. “Und überraschend moderner Sicherheitstechnik für ein ‘verlassenes’ Gebäude.”
“Genau da unten zeigt Ingress das Portal,” bestätigte Joshua. “Ghost muss einen Grund haben, warum er uns ausgerechnet hierher führt.”
Die schwere Archivtür stand nun offen vor Luc und Torben wie ein schwarzes Tor in die Vergangenheit – oder hinter die Wahrheit hinter all den gescheiterten Digitalisierungsprojekten.
“Seid vorsichtig,” kam Barbaras Stimme durch die App. “Wer weiß, was der Konzern dort unten vergraben hat.”
“Shadow_1 beginnt Abstieg,” flüsterte Luc ins Zello. “Ghost_Hunter sichert.”
Der Gang führte sie zu einem kreisrunden Raum. Ihre Taschenlampen enthüllten Reihen von Schließfächern, die sich wie metallene Bienenwaben an den Wänden entlangzogen.
“Ghost_Hunter an Control,” Torbens Stimme war kaum mehr als ein Hauch. “Das scheinen alte Medikamententresore zu sein. Die meisten sind nummeriert.”
“Das Portal in der App,” kam Joshuas Antwort, “zeigt genau auf eure Position. Ihr seid definitiv am richtigen Ort.”
Zwischen den nummerierten Metallklappen fiel einer aus der Reihe. Ein Schließfach in Augenhöhe, ohne Nummer, aber mit einem eingravierten Symbol – demselben, das sie auf dem USB-Stick gefunden hatten.
“Vielleicht das Zeichen von Orpheus,” murmelte Torben. “Ghost muss gewusst haben, dass wir es kennen würden.”
“Moment,” kam Joshuas Stimme durch Zello. “Ghost hat in Ingress eine Nachricht hinterlassen. Eine Frage: ‘Auf welcher Stufe der Partizipationspyramide sterben die meisten Change-Projekte? Könnt ihr da unten was damit anfangen?'”
Luc und Torben tauschten einen fragenden Blick,, bis Luc grinsend auf die Tür des Schließfachs zeigte. Das simple Nummernrad des Schließfachs wartete: drei Ziffern.
“Die Partizipationspyramide,” meinte er. “Information ist Stufe 1, Konsultation 2, Mitbestimmung 3…”
“…Selbstorganisation 4, echte Partizipation 5,” führte er fort. Seine Finger ruhten auf dem Nummernrad. “Die meisten Projekte sterben bei Stufe 4 – kurz vor der echten Beteiligung.”
“Verstehe,” flüsterte Torben. “Sie starten ambitioniert mit dem Versuch zur Selbstorganisation – Stufe 4. Scheitern dann auf dem Weg zur echten Partizipation – Stufe 5. Und fallen am Ende zurück in die reine Top-Down-Information – Stufe 1.”
“Der klassische Death-Circle der Change-Projekte,” nickte Luc grimmig. “Große Versprechen von Selbstorganisation, die an der Angst vor echter Partizipation scheitern und in autoritärer Einweg-Kommunikation enden.”
“4-5-1,” bestätigte Torben. “Von der gescheiterten Selbstorganisation über die unerreichte Partizipation zurück zum alten Command-and-Control.”
Luc drehte am Rad. 4-5-1. Ein letztes Klicken, dann sprang die Tür auf.
Die Klappe öffnete sich mit einem metallischen Seufzen, als würde sie ein lange gehütetes Geheimnis nur widerwillig preisgeben. Der Strahl ihrer Taschenlampen fiel in das dunkle Innere des Schließfachs. Dort, auf dem staubigen Metall, lag ein einzelnes Smartphone – schwarz, kantig, wie ein Fragment aus einer anderen Zeit.
“Shadow_1 an Control,” Lucs Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. “Wir haben etwas gefunden.”
“Ein EncroChat-Handy,” hauchte Torben, während er das Gerät vorsichtig aufhob. Es fühlte sich schwer an, bedeutungsvoll. “Die bevorzugte Hardware für alle, die…” Er stockte, als das Display durch die Bewegung plötzlich zum Leben erwachte.
Ein schwaches Leuchten erhellte ihre Gesichter in der Dunkelheit. Auf dem Bildschirm erschien ein einzelnes Symbol – das gleiche, das sie auf dem USB-Stick gefunden hatten. Darunter eine Telefonnummer.
“Base_1 an Shadow_1,” Pias Stimme knisterte durch Zello. “Status?”
Luc starrte auf das leuchtende Display. “Sollen wir…?”
Die Stille des verlassenen Kellers schien sich um sie zusammenzuziehen, nur unterbrochen vom leisen Rauschen ihrer Zello-Verbindung. Irgendwo über ihnen knarrte eine Diele, als würde das alte Gebäude sich in seiner Ruhe gestört fühlen.
“Wir sind in einem verlassenen Krankenhaus-Keller, haben gerade ein Verschlüsslungshandy in einem geheimen Safe gefunden, und sollen jetzt eine mysteriöse Nummer anrufen?” Torbens Stimme klang belustigt und angespannt zugleich. “Klingt nach dem perfekten Setup für einen B-Horror-Movie.”
“Der Unterschied ist nur,” murmelte Luc, “in Horrorfilmen arbeiten die Protagonisten nicht in Unternehmensberatungen. Da wären sie deutlich besser bezahlt.”
“Ghost_Hunter an Control,” Torbens Finger ruhte jetzt auf der Anruftaste. “Wir wagen es, die Nummer anzurufen.”
Das Freizeichen hallte unnatürlich laut durch den kreisrunden Raum. Einmal. Zweimal. Beim dritten Mal nahm jemand ab.
Eine Stimme, leise, fast ein Flüstern: “Ich sehe, ihr habt den Weg durch die Partizipationspyramide gefunden.” Eine kurze Pause. “Manchmal muss man erst durch die Hölle der gescheiterten Transformation gehen, um die Wahrheit zu finden.”
Bevor einer von ihnen antworten konnte, wurde die Verbindung unterbrochen. Das Display erlosch, als hätte es nie geleuchtet.
“Was zum…” begann Torben, aber ein plötzliches Geräusch von oben ließ sie beide erstarren.
“Control an Shadow_1,” Joshuas Stimme kam hastig durch Zello. “Ingress zeigt Bewegung am Haupteingang. Mehrere Personen.”
“Mechanic_1 an alle,” Barbaras Stimme schnitt durch Zello. “Zwei schwarze SUVs, getönte Scheiben. Gerade vorgefahren.” Eine kurze Pause. “Security-Logos des Konzerns.”
Luc und Torben tauschten Blicke im schwachen Schein ihrer Taschenlampen. Das EncroChat-Handy verschwand in Torbens Jacke wie ein digitaler Falschgold-Schatz. “Behalte du den USB-Stick. Wenn einer von uns erwischt wird, dann bekommen sie nicht beides gleichzeitig in die Hände. Luc nickte knapp, dann flüsterte er: “Die Treppe ist keine Option, Control, wir brauchen einen anderen Weg.”
“Moment,” Antonia meldete sich. “Die alten Baupläne… die Psychiatrie hatte ein Notfall-System. Alle medizinischen Einrichtungen brauchten das damals. Da müsste ein Versorgungstunnel…”
Ein metallisches Klirren von oben unterbrach sie. Schritte im Treppenhaus, das Knacken von Funkgeräten.
“Base_1 an Shadow_1,” Pias Stimme war konzentriert. “Es gibt tatsächlich einen Versorgungstunnel. Er mündet im alten Heizungskeller. Östliche Wand, hinter den Medikamentenschränken.”
Sie bewegten sich lautlos durch die Dunkelheit. Ihre Taschenlampen jetzt ausgeschaltet, nur ein schwache Notlicht wies ihnen den Weg. Das Geräusch der Schritte kam näher.
“…komplette Überprüfung des Untergeschosses,” drang eine Stimme von oben herab. “Der Sensor hat Eindringlinge gemeldet.”
“Shadow_1 an Control,” hauchte Luc ins Zello. “Die haben Bewegungsmelder. Alte Installation oder… ich weiß nicht wirklich wie die auf uns aufmerksam geworden sind.”
Sie erreichten die östliche Wand. Torben tastete die verrosteten Metallschränke ab, suchte nach einem Mechanismus, einer Öffnung, irgendetwas…
“Da!” Lucs Finger fanden einen Hebel, versteckt hinter einem verblichenen Warn-Schild: ‘Notausgang – Nur für autorisiertes Personal’.
“Wie passend,” murmelte Torben.
Der Hebel bewegte sich widerwillig, Jahre von Rost und Vernachlässigung hatten ihre Spuren hinterlassen. Mit einem dumpfen Klicken schwang ein Teil der Wand nach innen.
“Wo sind wir?” flüsterte Luc ins Zello.
“Einen Moment,” Pias Stimme war konzentriert. “Joshua hat die Ingress-Map mit den alten Bauplänen überlagert. Die Portale sind durch ein Netzwerk von Wartungstunneln verbunden.”
“Praktisch,” murmelte Torben.
“Links halten,” dirigierte Joshua. “Das nächste Portal markiert einen Ausgang beim alten Heizkeller. Etwa hundert Meter.”
Ein metallisches Scheppern hallte durch den Schacht. Die Tür zum Archivraum wurde aufgestoßen.
“Hier Security,” drang eine Stimme durch die Wand. “Raum gesichert. Spuren von… Moment mal. Chef? Da ist ein Notausgang.”
Sie bewegten sich schneller durch den engen Tunnel, während über ihnen die Schritte der Security näher kamen. Noch ahnten sie nicht, dass in Lucs Hosentasche ein verräterischer Sender tickte, der sie wie ein digitaler Leuchtturm markierte…
“Links,” dirigierte Joshua weiter. “Der Tunnel müsste gleich … ja, da! Da müsste ein Ausstieg zum Hinterhof kommen.”
Am Ende des Tunnels führte eine rostige Leiter nach oben. Luc und Torben kletterten hastig hinauf, jeder Atemzug schien sich in der Dunkelheit zu verfangen. Das Metall quietschte unter ihrem Gewicht, und mit jedem Tritt rieselte rostiger Staub herab. Die kühle Nachtluft war zum Greifen nah, doch die Geräusche der Security schienen ebenfalls näherzukommen – Schritte, Befehle, das Knacken der Funkgeräte.
„Beeilung“, murmelte Luc, mehr zu sich selbst als zu Torben, während er die letzte Sprosse erreichte und sich gegen eine Bodenklappe stemmte, die den Aufstieg von oben bedeckte. Sie knarrte laut und sperrte sich gegen seine Hände, als wäre sie schon lange nicht mehr benutzt worden. Mit einem Ruck gab sie schließlich nach, und frische Luft strömte herein.
Doch als sie hinauskletterten und die Bodenklappe leise schlossen, drang ein neues Geräusch an ihre Ohren – ein dumpfes Summen, wie von einer nahen Drohne. Torben erstarrte, seine Augen suchten den Himmel ab. Hoch über ihnen schwebte eine Drohne mit rot blinkenden Lichtern. „Mist“, flüsterte er, „die haben Drohnen im Einsatz.“
„Wir müssen in die Schatten, sofort.“ Luc deutete auf eine Reihe von Containern, die an der Seite des Hofes aufgereiht waren, und sie duckten sich schnell dahinter. Die Drohne zog ihre Kreise, langsam und bedächtig, als würde sie genau wissen, dass sie irgendwo dort unten waren.
Ein neuer Plan formte sich in Lucs Kopf, doch da hörten sie das Quietschen von Reifen und das Aufblenden von Scheinwerfern am anderen Ende des Hofes. Eine zusätzliche Patrouille! Die Security-Mitarbeiter stiegen aus, beäugten die Umgebung mit Taschenlampen und bewegten sich in ihre Richtung. Der Hof schien sich von Minute zu Minute mehr zu verengen.
„Da vorne“, flüsterte Torben und zeigte auf eine halb offene Tür zu einem Nebengebäude. „Wenn wir es dahin schaffen, können wir in der Dunkelheit verschwinden.“
Luc nickte, und gemeinsam schlichen sie in geduckter Haltung, ihre Schritte leise und kontrolliert. Doch kurz bevor sie die Tür erreichten, leuchtete ein Scheinwerfer genau auf sie.
„Da!“, rief jemand, und das Licht erhellte ihre Gesichter wie ein gleißender Blitz. Sie mussten reagieren – schnell.
„Jetzt!“ Torben packte Luc und zog ihn durch die Tür, die in eine enge, verwinkelte Lagerhalle führte, vollgestopft mit verlassenen Möbeln und alten Krankenhausutensilien. Sie liefen hastig zwischen verstaubten Rollbetten und verrottenden Schränken hindurch, das Herz hämmerte in ihren Ohren. Irgendwo hinter ihnen stießen die Sicherheitsleute die Tür auf und stürmten in den Raum.
„Hier entlang“, keuchte Luc und führte sie durch ein Labyrinth aus Regalen. Die Geräusche der Verfolger hallten von den Wänden wider, doch die beiden schlängelten sich weiter, duckten sich hinter ein Regal und hörten einen der Wachleute fluchen: „Verdammt, die müssen hier irgendwo sein.“
In dem Moment stolperte Torben über eine lose Metallplatte am Boden, die ein tiefes, schepperndes Echo verursachte. Alle Sicherheitsleute drehten sich in ihre Richtung.
„Lauf!“ Ohne einen weiteren Blick über die Schulter stürmten Luc und Torben durch die letzten Reihen des Lagers, bis sie schließlich eine Seitentür erreichten, die in einen dunklen Gang führte. Die Schritte hinter ihnen wurden schneller, lauter, doch dann hörten sie Barbaras Stimme über ihren Kanal: „Östliche Gasse, Schnell!“
Die beiden sprinteten, das Echo der Schritte ihrer Verfolger dröhnte direkt hinter ihnen. Gerade als sie um die letzte Ecke bogen, hörten sie das knappe „Zugriff!“ der Security – die letzten zehn Meter würden entscheidend sein.
Ein SUV mit getönten Scheiben schoss aus dem Nichts auf sie zu, Barbaras Umrisse wurden auf dem Fahrersitz deutlich sichtbar. Ohne zu zögern rissen sie die Türen auf und sprangen hinein, während Barbara den Wagen bereits mit Vollgas beschleunigte. Die Türen schnappten zu, und mit quietschenden Reifen setzte sich der SUV in Bewegung, während die Sicherheitsleute verzweifelt zurückblieben.
„Das war knapp“, keuchte Luc, den Puls immer noch im Hals spürend. Barbara grinste schief. Das Soundsystem ihres SUVs spielte “Gone Daddy Gone” von Violent Femmens, währens sie das Gaspedal tiefer durchtrat und sie auf die Sicherheit des Großstadtdschungels zusteuerten. “Alles Elektronische hier rein,” rief Dimitri und hielt den Beiden vom Beifahrersitz aus eine Metallschachtel unter die Nase. Torben und Luc kramten in ihren Taschen und legten das Handy und den USB-Stick in die Dose.
“Mission accomplished,” grinste Torben und klopfte auf die Schachtel in Lucs Händen. “Was ist das für ein Ding?” “Ghost hat Joshua eine Nachricht hinterlassen, alles Elektronische in eine Metallschachtel zu packen.” antwortete ihm Dimitri. “Metall kann wohl elektromagnetische Wellen blockieren oder zumindest stark abschwächen.” “Ja, wie ein Faraday’scher Käfig”, Torben nickte. “Aber das bedeutet doch, das Ghost glaubt, dass wir irgendwie abgehört werden oder so.” fügte er leicht besorgt und immer noch etwas außer Atem hinzu. “Er kann es wohl nicht ausschließen und sicher ist sicher. Joshua hat es uns vorhin eben erst durchgegeben. Zum Glück hatte Barbara hatte zufällig diesen alten Sanikasten im Auto.” Dimitri wies mit dem Kinn auf die Metallbox.
“Das war nicht der einzige Zufall”, mischte sich Luc ins Gespräch ein.. “Es war auch purer Zufall, dass du uns gefunden hast, Barbara. Ich hätte jedenfalls nicht gewusst, wo die östliche Gasse sein soll.” Sein Blick traf sich mit dem von Barbara im Rückspiegel. Sie schmunzelte entschuldigend. “So weit hab ich in der Aufregung tatsächlich nicht gedacht”, gab sie zu. Lucs Anspannung löste sich in einem Lachen. “Naja, normalerweise sind wir ja auch Berater und keine Indiana-Jones.” Er atmete tief aus. Dimitris Stimme klang ruhig, als er meinte: “Etwas gelernt fürs nächste Mal: Fluchtrouten vorher ausmachen.” Die anderen nickten.
Zwanzig Minuten später saßen sie wieder in Barbaras Werkstatt. Der würzige Duft ihres Stews, der immer noch in der Luft lag, hatte den modrigen Kellergeruch längst vertrieben.
“Ich würde sagen,” Antonia füllte dampfende Schüsseln, “das haben wir uns verdient.”
Während sie aßen, lag das mysteriöse Handy wie ein schwarzes Mahnmal zwischen ihnen auf dem Tisch. Was auch immer seine Geheimnisse waren – sie würden warten müssen, bis der Stew seine Magie ein weiteres Mal entfaltet hatte.
“Manchmal,” sagte Barbara, während sie eine letzte Prise getrockneten Chili über den Stew streute, “braucht man nach einer digitalen Geisterjagd etwas handfest Analoges.”
Der würzige Dampf stieg auf, vermischte sich mit dem vertrauten Geruch von Öl und Metall. Für einen Moment schien die Nacht mit all ihren Geheimnissen weit weg.
Plötzlich begann das Handy auf dem Tisch zu vibrieren. Jemand rief an.
Barbaras Bountiful Fiesta Stew (Ein Rezept für nächtliche Abenteurer mit Hang zur Partizipation)
STRENG VERTRAULICHE ZUTATEN:
- 1kg Rindfleisch, in unsichtbare Würfel geschnitten
- 4 Zwiebeln, diskret gehackt
- 2 Paprika, rot wie unangenehme Fragen
- Knoblauch nach Authentifizierungsgrad
- 3 Chilischoten (Zugangsberechtigung erforderlich)
- Gewürze aus der Black Box
- Ein Schluck Rotwein (für die Verschleierung der Absichten)
ZUGRIFFSBESCHRÄNKTE ANLEITUNG:
- Das Fleisch einer gründlichen Sicherheitsüberprüfung unterziehen
- Zwiebeln nach Stufe 4-5-1 verarbeiten
- Gemüse unter strenger Geheimhaltung hinzufügen
- Flüssigkeitszufuhr nach Bedarf autorisieren
- Gewürze mit höchster Freigabe einschleusen
- Mindestens zwei Stunden unter Beobachtung köcheln
QUALITÄTSKONTROLLE:
- Zutritt nur für befugte Personen
- Bei unerwarteten Ereignissen Ruhe bewahren
- Notausgang durch die Hintertür der Geschmacksnerven
HINWEIS: Dieser Stew wurde unter streng kontrollierten Bedingungen entwickelt. Jegliche Ähnlichkeit mit nächtlichen Aktivitäten ist rein zufällig. Im Zweifel: Nichts gesehen, nichts gehört, nur gekocht.