Hast du schon einmal darüber nachgedacht, warum so viele Menschen sich in Meetings zurücklehnen, schweigen und dann nachher im Flur ihrer Frustration Luft machen? Oder warum es so schwierig ist, echte Veränderung anzustoßen, selbst wenn die Mehrheit zugibt, dass ein Wandel nötig wäre? Ein Grund dafür könnte ein System sein, das von Grund auf darauf ausgelegt ist, Menschen extrinsisch zu motivieren – wie unser heutiges Bildungssystem. Hier geht es nicht um das „Warum“ hinter dem Lernen, sondern vor allem darum, was am Ende für eine Note dabei herausspringt. Doch das hat weitreichendere Auswirkungen als nur auf den Lernerfolg. Es prägt ganze Verhaltensmuster – und das nicht immer im positiven Sinne.
Was ist extrinsische Motivation und warum ist sie problematisch?
Extrinsische Motivation ist der Antrieb, etwas zu tun, um eine äußere Belohnung zu erhalten oder eine Bestrafung zu vermeiden. Noten in der Schule sind ein klassisches Beispiel dafür: Man lernt nicht unbedingt, weil man das Thema spannend findet, sondern um gute Ergebnisse zu erzielen oder Ärger zu vermeiden. Studien zeigen, dass solche äußeren Anreize zwar kurzfristig funktionieren können, langfristig jedoch die intrinsische Motivation – also den inneren Antrieb, etwas um seiner selbst willen zu tun – schwächen .
Das Problem dabei? Menschen, die auf diese Weise „konditioniert“ werden, verlernen es, nach dem „Warum“ zu fragen. Sie hören auf, eigenständig Sinn in einer Aufgabe zu suchen und warten stattdessen darauf, was die „Belohnung“ ist. Doch wenn diese äußeren Anreize wegfallen oder sich die äußeren Umstände ändern, bleibt nur ein Vakuum zurück – eine Passivität, die von Frustration und einem unterschwelligen Widerstand begleitet wird.
Von der Schule ins Büro: Wie passiv-aggressive Muster entstehen
Wenn Menschen von klein auf lernen, dass es um das Erfüllen von Erwartungen und das Vermeiden von Fehlern geht, führt das nicht selten zu einem Verhaltensmuster, das später als „passiv-aggressiv“ bezeichnet wird. Passiv-aggressives Verhalten äußert sich oft dadurch, dass Menschen ihre Unzufriedenheit indirekt zeigen: Sie sagen „Ja“, meinen aber „Nein“; sie schweigen in Meetings, lassen aber später Frust raus; sie tun das Nötigste, sabotieren aber unterbewusst Veränderungen, weil sie nie gelernt haben, echte Eigenverantwortung zu übernehmen.
In einem auf extrinsische Motivation ausgelegten System lernen Menschen, sich anzupassen, den Mund zu halten und „Dienst nach Vorschrift“ zu machen – das klassische „Compliance over Commitment“-Problem. Sie haben das „Warum“ hinter ihren Aufgaben verlernt und reagieren stattdessen auf das „Was“ und „Wer“. Laut David Marquet, einem ehemaligen U-Boot-Kommandanten und Experten für transformative Führung, verlagert sich die Motivation in solchen Strukturen vom „Warum“ (also der Sinnhaftigkeit) auf das „Wer“ (die Person, die die Anweisungen gibt). Das führt zu einer Mentalität des „Erfüllens“, aber nicht des „Beteiligens“.
Unser aktuelles Bildungssystem basiert oft auf Belohnung und Bestrafung, auf Konkurrenzdenken und Leistungsdruck. Ein System, das Noten, Rankings und Vergleiche in den Vordergrund stellt, fördert nicht unbedingt die Freude am Lernen, sondern vor allem die Angst vor Versagen. Die Folgen sind weitreichend:
- Fehlende Eigenmotivation: Schüler lernen, das zu tun, was von ihnen erwartet wird, statt das zu verfolgen, was sie interessiert.
- Konkurrenz statt Kooperation: In einem System, das auf Noten und Ranglisten setzt, entwickeln sich Rivalitäten statt Teamgeist.
- Frustration und Ohnmachtsgefühle: Menschen, die extrinsisch motiviert werden, fühlen sich oft fremdbestimmt und in ihrer Entwicklung eingeschränkt .
Das Bildungssystem als Grundstruktur für passiv-aggressives Verhalten.
Was sind die langfristigen Auswirkungen?
Wenn wir Menschen jahrelang darauf konditionieren, sich an äußeren Anreizen zu orientieren, statt sich von innen heraus zu motivieren, hat das tiefgreifende Folgen. Passiv-aggressives Verhalten in Organisationen ist eine davon. Doch es gibt noch mehr:
- Mangelnde Verantwortungsübernahme: Mitarbeiter folgen Anweisungen, aber sie fühlen sich nicht wirklich verantwortlich für das Ergebnis. Es ist „Chef Bobs Problem“.
- Widerstand gegen Veränderung: Da das „Warum“ oft fehlt, verstehen Mitarbeitende den Sinn hinter neuen Projekten nicht und blockieren (bewusst oder unbewusst) jede Veränderung.
- Geringe Innovationskraft: Kreativität und Experimentierfreude brauchen ein Umfeld, das Fehler erlaubt und den inneren Antrieb stärkt. Ein auf extrinsischen Anreizen basierendes System hemmt jedoch genau das.
Was können wir tun?
Es ist Zeit, umzudenken! Anstatt weiterhin auf äußere Belohnungen zu setzen, sollten wir uns darauf konzentrieren, Menschen zu inspirieren und sie dabei zu unterstützen, ihre eigene Motivation zu finden. Wir brauchen ein Bildungssystem (und auch eine Arbeitswelt!), das auf intrinsische Motivation setzt – das den Lernenden das „Warum“ hinter den Aufgaben erklärt und ihnen die Freiheit gibt, ihren eigenen Weg zu finden.
Praktische Ansätze für Bildung und Arbeit:
- Beteiligung erhöhen: Lehrer und Führungskräfte sollten mehr auf Partizipation setzen und die Lernenden und Mitarbeitenden in Entscheidungen einbinden.
- Feedback statt Noten: Konstruktives Feedback, das auf die persönliche Entwicklung abzielt, ist effektiver als reine Zahlenbewertungen.
- Sinnvermittlung: Klare Kommunikation über den Zweck und das „Warum“ hinter Aufgaben ist entscheidend.
- Fehlerkultur etablieren: Menschen müssen lernen, dass Fehler nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas Neuem sind.
Fazit:
Ein auf extrinsische Anreize fokussiertes Bildungssystem formt nicht nur die Arbeitsweise, sondern auch die sozialen Dynamiken in unserer Gesellschaft. Es schafft passive Anpassung und verdeckte Widerstände. Wenn wir diese passiv-aggressiven Muster durchbrechen wollen, müssen wir den Fokus auf intrinsische Motivation, Sinn und Eigenverantwortung legen. Nur dann werden Menschen nicht nur reagieren, sondern aktiv gestalten – in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft insgesamt.
Quellen:
【1】 Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Intrinsic and Extrinsic Motivations: Classic Definitions and New Directions. Contemporary Educational Psychology.
【2】 Marquet, D. (2012). Turn the Ship Around! A True Story of Turning Followers into Leaders. Penguin Publishing.
【3】 Kohn, A. (1999). Punished by Rewards: The Trouble with Gold Stars, Incentive Plans, A’s, Praise, and Other Bribes. Houghton Mifflin Harcourt.